Das Metzgermädchen
Ihre Schulkolleginnen spielten mit Barbies, sie half dem Papa im Schlachthof. Mittlerweile führt Ursula Sedlmayr den Familienbetrieb – und tickt noch immer ein bisschen anders.
„Viel arbeiten“ – das Erfolgsrezept von Metzgermeisterin Ursula Sedlmayr klingt simpel, aber nicht unbedingt nach einem beneidenswerten Dasein. Allerdings nur für jene, die sie nicht kennen. Denn arbeiten ist für sie keine lästige Pflicht, sondern das, was sie am liebsten macht. Und gemacht wird in der Metzgerei Sedlmayr so einiges, besser gesagt: 98 Prozent der verkauften Produkte werden selbst hergestellt. „Wir schlachten, wir wursten, wir räuchern und alles was sonst dazu gehört – das fühlt sich für mich nicht wie Arbeit an.“ Die 39-Jährige lacht. „Offenbar funktioniert in meinen Kopf irgendetwas anders als bei den meisten Mädchen.“
Ein echtes „Original“
Sedlmayr kann getrost zu jener Sorte von Menschen gezählt werden, die man als „Originale“ bezeichnet. Sie nennt den Kühlraum „ihr Wohnzimmer“ und sagt Sachen wie: „Mit einem Diamantring kannst’ mir keine Freude machen, aber über ein neues Arbeitsgerät freu’ ich mir einen Hax’n aus.“ Während ihre Schulkolleginnen mit Puppen spielten, half Sedlmayr dem Vater in der Metzgerei. Nach der Schule absolvierte sie bei ihm die Lehre, bereits mit 20 legte sie die Meisterprüfung ab. „Mit Eins Komma irgendwas“, erzählt sie stolz. Nicht weil sie großen Wert auf Noten gelegt hätte, sondern weil sie schon früh zeigen konnte, dass sie für diesen klassischen Männerberuf durchaus Talent hat.
Wir sind typische Weiber: Bei uns fliegen schon mal die Fetzen, aber wenn es drauf ankommt, stehen wir zusammen.
Weggeschmissen wird nur das Nötigste
In der Betriebsführung ist sie dem treu geblieben, was sie von ihrem Vater gelernt hat. So gilt beispielsweise: Wenn man ein Tier schlachtet, wird so viel wie möglich verwertet. Nur die schönen Stücke zu verarbeiten und den Rest zu entsorgen, gibt es bei ihr nicht. Aus den Knochen zieht sie Saucen, der Kalbskopf wird gepresst und zu Sülze verarbeitet. „Das machen heute – glaube ich – nicht mehr viele. Leider ist das auch ein Spiegel unserer Gesellschaft, manche Leute schmeißen ja schon einen Apfel weg, nur weil er einen Fleck hat.“ Es ist ein Thema, bei dem Sedlmayr ausnahmsweise nicht lacht. Man merkt sofort, dass es ihr wichtig ist. „Wenn ich etwas Falsches in der Tonne sehe, kann es auch mal laut werden.“
Seit 1929 existiert der Familienbetrieb, seit dem plötzlichen Tod ihres Vaters vor zehn Jahren unter der Führung von Ursula Sedlmayr – bei der Übernahme war sie 29 Jahre alt. Damals wie heute helfen auch die beiden Schwestern stundenweise im Betrieb mit. „Wir sind typische Weiber: Bei uns fliegen schon mal die Fetzen, aber wenn es drauf ankommt, stehen wir zusammen.“ Die Metzgermeisterin erzählt das nicht ohne Grund: Selbst nach zehn Jahren reagieren einige wenige noch skeptisch auf ihren Beruf. „Weil ich ein Mädchen bin!“ sagt sie und lacht wieder. Ihr ist das egal: „Ich hab mich damit abgefunden, ich bin halt so wie ich bin.“
Ich verkaufe kein Stück Fleisch, bei dem ich meinen Kunden nicht sagen kann, woher es kommt und wie das Tier gelebt hat.
Ganz traditionell werden die meisten Tiere noch lebend vom Bauernhof abgeholt. Dabei achtet Sedlmayr auf Qualität und Regionalität, auf einen Preiskampf wie er von großen Betrieben teilweise geführt wird, lässt sie sich gar nicht erst ein: „Ich verkaufe kein Stück Fleisch, bei dem ich meinen Kunden nicht sagen kann, woher es kommt und wie das Tier gelebt hat.“ Neben dem klassischen Sortiment entwickelt sie auch gerne eigene Spezialitäten, darunter ausgefallene Wurstkreationen wie Cranberry- oder Lebkuchenstangerl.
„Versandhandel“ auf traditionelle Art
Neben der Qualität und dem Angebot ist es auch die Atmosphäre, wie sie nur in kleinen Betrieben möglich ist, die ihre Kunden schätzen. Viele kennt man persönlich, manche kommen auch nur zum Plaudern auf einen Kaffee vorbei. „Wir wollen die Leute nicht einfach nur schnell abfertigen.“ Das gilt für bekannte Gesichter genauso wie für Urlaubsgäste, die sich in der Metzgerei eine Stärkung für die nächste Wanderung holen – und führt teilweise sogar dazu, dass sich manche die Spezialitäten aus dem Hause Sedlmayr in ihr Heimatland nachschicken lassen. „Das ist eigentlich das schönste Kompliment“, freut sich die Chefin. Und Komplimente für ihre Arbeit sind für Ursula Sedlmayr ohnehin die schönsten, die man ihr machen kann.
Text: Matthias Köb // friendship.is
Fotos: Ian Ehm // friendship.is
12. Oktober 2016